INTERVIEW
Kulturelle Aneignung - Hat das was mit uns zu tun?

Petra Zudrell (Stadtmuseum Dornbirn) und Bettina Steindl (CampusVäre – Creative Institute Vorarlberg) im Gespräch

 

Am 9. März findet in der CampusVäre ein Talk zum Thema „Kulturelle Aneignung“ statt. Was erwartet die Besucher und Besucherinnen?

Petra Zudrell: Spartenübergreifend diskutieren wir das in internationalen Feuilletons und auf Social Media Plattformen sehr präsente Thema „cultural appropriation“. Wir holen die Thematik auf regionalen Boden und werden es mit unseren Gästen Anette Baldauf (Professorin an der Akademie der bildendenden Künste Wien) und Hans Platzgumer (Musiker, Schriftsteller, Komponist und ehemaliger Punk) entwirren. Zur Veranstaltung sind Kultur- und Kreativtätige und alle, die das Thema interessiert, herzlich willkommen.

Was hat Kulturelle Aneignung mit der CampusVäre zu tun?

Bettina Steindl: Die CampusVäre als Ort für Möglichkeiten, für Mutiges und als Beispiel gelingenden „Zusammenschaffens“, schien uns für dieses Thema perfekt zu sein. Die CampusVäre, das sind räumlich gesprochen, 12.000 Quadratmeter große Industriehallen im Besitz der Stadt Dornbirn. Früher wurde hier gesponnen und gewebt – für die Textilindustrie Vor­arlbergs. Heute wird hier für eine gute, funktionierende und nachhaltige Zukunft visioniert und es werden nationale und internationale Netzwerke gewoben. Im Grunde tun wir nichts anderes als die Mitarbeiterinnen der Firma F.M. Hämmerle früher, diesmal mit den Werkzeugen für eine gelingende Zukunft. Wir sind in unserem Tun und Wirken meiner Meinung nach ständig an Schnittstellen der Aneignung. Wir eignen uns Wissen, Können, Systeme und Kulturen an. Früher durften wir, wie es auch Hans Platzgumer in seinem Beitrag beschreibt, fast alles sein was wir wollten. Wir wechselten zwischen Identitäten, Stilen und Kulturen und zeigten im Außen, was uns im Inneren beschäftigte.

Welche Verbindung hat das Stadtmuseum zur kulturellen Aneignung?

Petra Zudrell: In unserer aktuellen Ausstellung „Ware Dirndl“ werden verschiedene Aspekte des „Produkts Dirndl“ ausgestellt. Unter anderem auch, welchen gestalterischen Vorgaben das Dirndlkleid und die Trachtenstoffe in der Vergangenheit unterworfen waren, wer diese Vorgaben formuliert hat und wie stark bestimmte Gruppen das „wahre“ Dirndl für sich beansprucht haben. Am deutlichsten war die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, die das Dirndl und Trachten nicht nur zu „volksechten“ Kleidungsstücken erhoben haben, sondern Jüdinnen und Juden verboten, diese Kleider zu tragen. Uns beschäftigt die Frage: Wem gehört das Dirndl? Debatten um Tracht und ihre Trägerinnen landen heute bei den Themen Identitätspolitik und kulturelle Aneignung. Hier geraten Reinheitsideen in Gestalt von Cancel Culture und lange gelebte Praxis kulturellen Austauschs und Aneignung im guten Sinne aneinander. Einen sehr besonnen Beitrag hat jüngst Jens Balzer mit seiner „Ethik der Appropriation“ (2022) verfasst, in welcher er zwischen guter und schlechter Aneignung unterscheidet. Balzer fasst die ganze Spannweite der Fragestellung so zusammen: „Appropriation ist eine schöpferische, kulturstiftende Kraft. Aber zugleich ist sie in Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse verstrickt.“

Wie kann kulturelle Aneignung sonst noch beschrieben werden?

Bettina Steindl: Wahrgenommen wird kulturelle Aneignung, wenn vermeintlich dominante von vermeintlich rezessiven Kulturen ungefragt und unreflektiert Positionen übernehmen. Sich mit der Kultur anderer auseinanderzusetzten bedeutet vermutlich in letzter Konsequenz, sich Dinge anzueignen, also sie sich zu eigen zu machen. Wie Platzgumer stamme ich aus Tirol und es war und ist mir ein Bedürfnis, nicht darauf reduziert zu werden. Woher ich komme, darf nicht bestimmen, wer ich sein will, wohin ich gehe und was ich tun werde. Endlich setzt sich die Gesellschaft mit Geschlechteridentitäten auseinander und zu Recht wird gefordert, sein zu dürfen wonach gefühlt wird. Auf der Metaebene betrachtet ist das Mensch-sein das Verbindende. Und nach der Expertise der Naturwissenschaftshistorikerin und Frauenforscherin Donna Haraway stehen wir auch mit Tieren, Pflanzen und Maschinen in Resonanz. Bedeutet das nicht, wir alle sind alles und alles ergibt uns? Warum also sollten wir auf der einen Seite die Welt kennen lernen und grenzenlos sein (wollen) und auf der anderen Seite uns abgrenzen (müssen)? Ich finde also ja, kulturelle Aneignung ha