askd Magazin mit Folge 02 bei uns in der CampusVäre

"Unsere Adresse Spinnergasse 1 sagt doch schon alles darüber, wie es hier mal sein soll."

Bettina Steindl ist Kuratorin, Kommunikatorin und Transformationsmanagerin. Sie war als Mitbegründerin von Urbane Künste Ruhr Teil der Ruhrtriennale im Ruhrgebiet, arbeitete für zwei Kulturhauptstädte, leitete das designforum Wien und das Büro zur Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt "Dornbirn Plus". Derzeit gestaltet sie den Prozess, in der CampusVäre in Dornbirn ein Zentrum für Kreativwirtschaft und Vernetzung anzusiedeln.
 

Was hat dich nach dem Thema Kulturhauptstadt gereizt, ein weiteres Projekt im Auftrag der Stadt Dornbirn zu übernehmen?
Das war zum einen die Person Andrea Kaufmann und ihr Wille, in Dornbirn nicht nur etwas vorwärtszubringen, sondern Initiativen zu setzen, die Strahlkraft entwickeln können. Und zwar weit über das Land hinaus. Zum anderen war es der Zuspruch des Leiters der Vertretung Österreichs in der Europäischen Kommision, Martin Selmayr, der im Rahmen unseres damaligen Bewerbungsprozesses Vorarlberg besuchte und im gemeinsamen Gespräch mit Andrea Kaufmann und mir sehr deutlich dazu ermuntert hat, als Team weiterzumachen. Er hat uns klar darin bestärkt, die richtigen Themen im Fokus zu haben und sie mit Strahlkraft nach Europa in der Bodenseeregion umsetzen zu können. Und der dritte Impuls war eine Studie von Chris Müller, dem Gründungsdirektor der Tabakfabrik Linz. Er untersuchte, wo in Vorarlberg die besten Voraussetzungen seien, Kreativwirtschaft im Land zu bündeln. Und seine Empfehlung fiel ganz klar auf Dornbirn mit den Hallen der ehemaligen F.M. Hämmerle Fabrik.

 
Das war dann also die Geburtsstunde des Projekts CampusVäre?
(lacht) Ein bisschen was brauchte es schon noch. Wir haben die Hallen besichtigt und ich habe mich sofort in diesen Ort verliebt. Wir haben angefangen, Konzepte zu schreiben und unzählige Gespräche zu führen. Aber es stimmt schon: Die CampusVäre war geboren. Die Hallen gehören der Stadt, es gibt mittlerweile wichtige politische Beschlüsse von Stadt und Land, das Projekt so umzusetzen, wie von uns vorgeschlagen und wir als Team sind durch Land, Stadt Dornbirn und Beiträge von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sowie von F.M. Hämmerle finanziert.

„Es gibt auch die, die mir sagen, dass Kunst und Kultur in Vorarlberg sowieso keine Sau interessiert und ich wieder nach Tirol abhauen soll. Aber damit kann ich mittlerweile gut umgehen.“

Hier an der Tür steht „Meter für Meter”. Wie ist das zu verstehen?
Wir haben hier 12.000 qm Fläche, verteilt auf 6 Hallen. Und wir haben von Beginn an gesagt, wir entwickeln, transformieren und kuratieren diesen Prozess auf innovative Art und Weise. Partizipation, Kollaboration, Kooperation, Transparenz und breite Vermittlung können hier als Schlagworte genannt werden. Man muss sich vorstellen, dass sogar von Abbruch und Neubau die Rede war. Dabei gibt es ein derart einzigartiges Ensemble nur höchst selten. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir hier innovative „Brownfield-Entwicklung“ betreiben möchten. Es sollen sich Kreativwirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Bildung hier treffen und ansiedeln. Aber ganz langsam. Nicht einfach in fertig restaurierte Hallen, perfekt ausgebaut, einziehen. Wir möchten den Charakter, das Besondere dieses Ortes erhalten, möglichst wenig eingreifen, das Gegebene nützen und ihn so weit wie möglich belassen. Und das geht nur, wenn man Schritt für Schritt arbeitet. Oder Meter für Meter.
 
Es dürfte allerdings nicht ganz einfach sein, jemandem einen Platz in einer rohen Industriehalle schmackhaft zu machen, einen Preis dafür zu veranschlagen etc. Wie geht es euch damit?
Das ist natürlich eine Herausforderung. Und es geht nur, indem wir den Boden sorgsam aufbereiten. Wir müssen die Menschen hierherbringen, ihnen diesen unglaublichen Ort zeigen, damit sie verstehen, warum es in Ordnung ist, wie es ist. Diese Vorbereitungsarbeit läuft nun seit einem Jahr. Und es funktioniert immer besser. Wir haben zum Beispiel für die Halle 5 mit 1.000 qm in Roland Adlassnig einen ersten, ganz wichtigen Mieter gewinnen können. Er nimmt die gesamte Halle, richtet hier sein Atelier ein, das er zeitweise auch öffnet, bespielt die Halle mit befreundeten Künstlern, Architekten und auch der Fachhochschule. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Andrea Kaufmann hat das in ihrer letzten Rede vor der Stadtvertretung so beschrieben, dass wir hier „Möglichkeitsräume schaffen“. Das finde ich sehr treffend.
 

„Veränderung macht alles erst spannend, inspirerend und zukunftstauglich.“

 
Wir stehen hier jetzt mitten in den Hallen 1 und 2, den größten des gesamten Areals. Wie können wir uns das später vorstellen? Wie wird es hier aussehen?
Wir arbeiten an einem Low-Tech-Konzept. Die Halle soll plus minus so bleiben. Wir werden Holzmodule hier hereinstellen, die als Büros, Werkstatt, Küche, Besprechungsräume oder was auch immer fungieren. Gemeinsam mit dem Architekturbüro JK&P, der Stadt Dornbirn und einer Planungsgruppe bestehend aus verschiedensten Gewerken arbeiten wir an einem völlig neuen Konzept der Entwicklung. Es wird natürlich entsprechendes Licht geben und alles, was es für ein gutes Arbeiten braucht. Aber die Halle bleibt die Halle. Das ist essenziell. Das Thema „Bauen im Bestand“ wird hier zu 100 Prozent umgesetzt. Genauso wie uns Kreislaufwirtschaft und die sekundäre Nutzung von Ressourcen täglich begleitet. Dort drüben (zeigt auf eine Ecke der Halle) sind alte Möbel der FH Vorarlberg, die wir vor der Entsorgung gerettet haben. Letzte Woche haben wir das Inventar der Stadtvilla, die gerade 300 Meter von hier abgerissen wird, hierhergebracht. Das sind wunderbare alte Möbel, die wir hier in der CampusVäre wieder einsetzen werden. Und jedem, dem wir das so erzählen und vor allem auch zeigen können, der versteht, warum es genauso sein muss und vor allem auch bleiben muss.
 
Gibt es keine Widerstände?
Oh doch. Immer wieder. Und dann laden wir die Leute dann hierher ein, erzählen ihnen unsere Geschichte, zeigen ihnen diese „Kathedrale der Industriekultur“, wie das Areal auch schon bezeichnet wurde. Und fast alle gehen begeistert von hier weg. Natürlich gibt es auch die, von denen ich nach wie vor als Heizdecken- oder Tupperware-Verkäuferin bezeichnet werde. Sogar die, die mir sagen, dass Kreativwirtschaft, Kunst und Kultur in Vorarlberg sowieso keine Sau interessiert und ich wieder nach Tirol abhauen soll und so weiter. Aber damit kann ich mittlerweile gut umgehen. Ich weiß, dass die Stadt Dornbirn, das Land Vorarlberg und unsere weiteren Stakeholder und Unterstützer:innen das Potenzial erkannt haben, hier wirklich ein Leuchtturmprojekt schaffen zu können, das international Anerkennung findet. Das will ich auch. Und das beflügelt mich.
 
Was macht ihr darüber hinaus, um die CampusVäre zu vermarkten, falls man das schon so bezeichnen darf?
Angefangen hat es eigentlich mit der Veranstaltungsreihe „Rampengespräche“, bei der das Forum Alpach zu Gast war, das die Künstliche Intelligenz zum Thema hatte – übrigens mit einem tollen Podium rund um Philippe Narval vom Square in Zürich – oder Kollaboration und die Zukunft des Bauens. Dann haben wir mit „Tisch Zwölf“ jede Woche Gäste hier in der Halle, die vom Vetterhof, Jodok Dietrich und dem Biohotel Schwanen bekocht werden. Wir laden wie schon gesagt Kritiker und Skeptiker gezielt ein, um sie mit der CampusVäre in Kontakt zu bringen.
 
Welche Kanäle sind für euch wichtig, um auf euch aufmerksam zu machen?
Ehrlich gesagt sind wir zwar auf allen für uns wichtigen Social-Media-Kanälen vertreten, merken jedoch, dass sehr viel Wirkung verloren geht, wenn wir einfach nur in Stories und Posts von unserem Ort erzählen. Das muss man gesehen haben. Gespürt haben. Und zwar unmittelbar und selbst. Das Verstehen fällt dann leichter. Unsere Mission ist es, Menschen hier am Standort mit der Aura des Ortes zu verbinden. Dafür machen wir Exkursionen zu anderen Leuchtturmprojekten, die bestens funktionieren, weil ich selber nix mehr erklären muss, wenn wir irgendwo in Zürich oder Mailand ähnlich außergewöhnliche Orte anschauen. Da sagen dann viele: Wow. So etwas gibt es bei uns nicht. Unser Stichwort. Wir heben dann immer die Hand und erzählen den Leuten, die uns noch nicht kennen, von diesem außergewöhnlichen Ort, den es eben doch bei uns gibt. Und unserer außergewöhnlichen Idee.
 
Wo steht ihr denn aktuell im Prozess – von „erste Planung“ bis „wir sind fertig“?
Ich würde sagen, wir sind mitten in der Konzept- und Planungsphase und verlassen schön langsam die Pionierzeit. Also nicht mehr am Anfang – weil ja auch schon Konkretes entsteht, wie mit Roland Adlassnig – aber noch nicht in der Hauptvermarktungsphase, wenn ich das überhaupt so nennen möchte. Aber es macht sich grad so das Gefühl breit: Jetzt geht´s los.
 
Und wie wird es sein, wenn es fertig ist? Was würdest du als Ziele formulieren bzw. wann ist das Projekt gelungen?
Das habe ich ganz genau vor mir, wenn ich die Augen schließe. Dann sehe ich so was wie ein Wimmelbild. Lauter verschiedene Menschen, die sich hier treffen, die hier arbeiten, die im Austausch sind, sich gegenseitig befruchten. Es sind Menschen, die gerne hier an diesem Ort sind. Sie sorgen für das Leben am Standort und die CampusVäre ist nur mehr die Hülle dafür. Die Adresse hier ist bekanntlich Spinnergasse 1. Und das sagt doch schon alles darüber, wie es hier sein soll. (lacht)
 
Und wie sieht der Alltag auf dem Weg dorthin aus?
Der ist täglich anders. Neben klar strukturierter kuratorischer Projektarbeit habe ich bei jedem Gang durch die Hallen neue Ideen. Die erzähle ich dann gleich dem Team, die dazu mhm, aha oder soso sagen, nicken und sich denken: Geht gleich wieder vorbei und morgen kommt sie eh schon mit dem nächsten Thema daher (lacht). Aber genau das macht meine Arbeit hier und das gesamte Projekt so besonders. Man weiß nie genau, wo es morgen reintropft. Oder wie man für eine Veranstaltung den Strom an einen bestimmten Platz bringt. Zum Glück gibt es dann so jemanden wie den Peter von PAV, der seit 30 Jahren da ist und jeden Winkel kennt. Der kommt dann und löst das Problem. Und wenn´s reintropft, dann denke ich daran, dass man eigentlich Liegen aufstellen könnte, damit Menschen sich hier reinlegen können, um die Stille und das Tropfen zu genießen – eine kleine Auszeit sozusagen.
 
Kommen wir nochmals zurück zur Transformation – die hat in der CampusVäre ja besonders viele Facetten. Welche scheinen dir dabei besonders wichtig?
Da gibt es ganz viele. Es beginnt natürlich damit, dass der Ort sich vom Sägen-Areal über die Textilindustrie – es waren ja hier früher die Weberei und die Spinnerei von F.M. Hämmerle – nun zu einem ganz neuen Ort für Kreativwirtschaft, aber im alten Kleid entwickelt. Dass sich damit der Zweck verändert, aber nicht das Äußere. Transformation ist für mich aber auch, dass Altes, wie die Möbel, die wir überall sammeln, oder Inventar hier vor Ort eine neue Funktion, ein neues Umfeld, ein zweites Leben bekommen. Vor allem aber soll die Transformation mit der Belebung, dem Einzug von Mietern, den künftigen Veranstaltungen, Ausstellungen etc. zu einem Dauerthema werden, das vermutlich dann erst so richtig Fahrt aufnehmen wird. Und schlussendlich wäre das ganze Projekt gar nie möglich gewesen, hätte es in den letzten Jahren nicht diese geballte Ladung von Transformation um uns gegeben. Angefangen von der Pandemie über die diversen Krisen in der Welt bis zu den wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Auswirkungen für uns alle.
 
Das bedeutet aber auch, dass die Veränderung hier an diesem Ort immer weitergehen wird?
Klar, die ist im Konzept fix mit dabei. Es werden Menschen kommen und auch wieder gehen. Weil es nicht mehr passt, weil sie etwas anderes brauchen oder suchen. Dieser Wechsel, diese Veränderung ist Teil des Konzeptes. Nur so kann alles spannend, inspirierend und zukunftstauglich bleiben. Man darf hier auch hinauswachsen.
 
Gilt das auch für dich persönlich? Wie wird deine Funktion, deine Rolle sich verändern?
Sie wird sich verändern, das ist sicher. Aber ich kann noch nicht sagen, in welcher Form. Ich bin sicher, dass so ein Ort einen Host braucht. Jemanden, der eine Hospitality-Funktion wahrnimmt. Als Kind aus der Gastronomie liegt mir das sehr. Ich meine damit aber nicht die klassische Standortmanagerin, sondern jemanden, der oder die sich kümmert, da ist, für die Belebung sorgt, so etwas wie eine Gallionsfigur ist.
 
Wäre es überhaupt noch interessant, das zu sein, wenn alles erschlossen und vermietet ist?
Davon bin ich überzeugt, ja. Denn die Entwicklung wird nie zu Ende oder abgeschlossen sein. Und die Kuration eines solchen Ortes braucht Beständigkeit und gleichzeitig dauernden Input. Wir als Team und ich als Person sind fest entschlossen, das zu leisten.
 
Eine letzte Frage noch: Was wäre dein Tipp zur Rettung der Welt?
(denkt nach) Solidarität. Ja, ganz klar Solidarität. Aber nicht im Sinne von Mitgefühl für andere. Sondern im Sinne von: gemeinsam etwas machen, in den Aktivismus kommen, auf das kollektive Wissen, die Stärke und den Mut vertrauen. Das meine ich mit Solidarität. Und die braucht es zur Rettung der Welt.