„Kulturelle Aneignung - Hat das was mit uns zu tun?“
Ausgehend von der Ausstellung „Ware Dirndl“ im Stadtmuseum Dornbirn haben wir gemeinsam mit Vertreter:innen aus verschiedenen Kulturdisziplinen und aus der Kreativwirtschaft den, in internationalen Feuilletons und auf Social Media, meist sehr aufgeregten Diskurs rund um die „Cultural Appropriation“ entwirrt und diskutiert.
Dabei haben wir das Thema auf unseren regionalen Boden geholt und gemeinsam überlegt, wie weit es uns alle betrifft oder betreffen sollte. In der Ausstellung „Ware Dirndl“ wurden im Frühjahr 2023 im Stadtmuseum Dornbirn verschiedene Aspekte des „Produkts Dirndl“ ausgestellt. Unter anderem auch, welchen gestalterischen Vorgaben das Dirndlkleid und die Trachtenstoffe in der Vergangenheit unterworfen waren, wer diese Vorgaben formuliert hat und wie stark bestimmte Gruppen das „wahre“ Dirndl für sich beansprucht haben.
Am deutlichsten war die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, die das Dirndl und Trachten nicht nur zu „volksechten“ Kleidungsstücken erhoben haben, sondern Jüdinnen und Juden verboten, diese Kleider zu tragen. Der Vorwurf der Aneignung ist hier kompliziert und abstrus, die Aneigner:innen warfen anderen Aneignung vor – letztlich fragt man sich jedoch: Wem gehört das Dirndl?
Mit Petra Zudrell, Direktorin Stadtmuseum Dornbirn und Bettina Steindl, CampusVäre, diskutieren:
Der Tiroler Autor und Musiker Hans Platzgumer. Seit dem Jahr 2000 hat der ehemalige Punk den Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens weg von der Musik hin zur schriftstellerischen Arbeit verlagert. Dabei setzt er sich künstlerisch wie persönlich mit dem Thema der kulturellen Aneignung auseinander. Zuletzt erschien in DIE ZEIT ein Artikel von Platzgumer zum Thema: Darf ich nur Tiroler sein?
Anette Baldauf, Professorin für Epistemologie und Methodologie an der Akademie der bildenden Künste Wien. 2021 veröffentlichte sie ein Feature über die Geschäfte der Vorarlberger Textilindustrie mit Westafrika mit dem Titel „Spitzen-Geschäfte“ von Katharina Weingartner, Anette Baldauf und Jumoke Sanwo.
Der Diskurs um Tracht, Kunstformen wie Musik und das Design von Kleidung und anderen Objekten ist eng mit Identitätspolitik verknüpft. Die Debatte heute ist oft verworren und nicht nachvollziehbar, medienwirksame Vorwürfe und Unverständnis dominieren. Umgekehrt versuchen kluge und abwägende Artikel zu dem Thema erst einmal zu klären, was kulturelle Aneignung überhaupt ist.
Einen sehr besonnenen Beitrag hat jüngst Jens Balzer mit seiner „Ethik der Appropriation“ (2022) verfasst, in welcher er zwischen guter und schlechter Aneignung unterscheidet: „Eine gute Appropriation ist jene, die erfinderisch ist; die das Spiel der kulturellen Möglichkeiten erweitert; und auch eine, die uns zeigt, dass Identität „nicht aus einer einzigen Wurzel erwächst“, sondern „aus einem Wurzelgeflecht, einem Rhizom“. Identität ist immer hybrid, gemacht, unablässig im Werden und in der Veränderung. Eine Praxis der Appropriation, die diese Hybridität und die ambivalente Verfasstheit jeglicher kultureller Identität sichtbar macht, ist eine im ethischen Sinn gute Appropriation. Eine schlechte Appropriation ist hingegen jede, die scheinbar vorgegebene Identitäten hinnimmt und verfestigt, die bestehende Machtverhältnisse ästhetisch ausnutzt und damit politisch zementiert. Schlechte Appropriation beutet ästhetische Erzeugnisse marginalisierter Menschen aus der Position einer hegemonialen Mehrheitsgesellschaft aus und schreibt diese Menschen dabei zugleich in ihrem Status der Marginalisierung fest."